Sprache des Dokuments : ECLI:EU:C:2001:485

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS JACOBS

vom 25. September 2001(1)

Rechtssache C-28/00

Liselotte Kauer

gegen

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten

1.
    Der Oberste Gerichtshof (Österreich) begehrt in der vorliegenden Rechtssache Aufschluss über die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Regelung der sozialen Sicherheit entgegensteht, wonach in einem Mitgliedsstaat des EWR oder der EG zurückgelegte Zeiten der Kindererziehung nur dann als Ersatzzeiten für die Altersrente gelten, wenn 1. diese Zeiten nach dem Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (1. Januar 1994) liegen und 2. die Mutter für dieses Kind nach nationalem Recht Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder auf Betriebshilfe hat.

2.
    Zur Beantwortung dieser Frage, die mit dem wichtigen Thema des zeitlichen Geltungsbereichs des Gemeinschaftsrechts nach dem Beitritt eines Mitgliedstaats zusammenhängt, ist zu prüfen, ob die fraglichen innerstaatlichen Vorschriften von den Übergangsvorschriften abweichen, die in Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71(2) und den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit festgelegt sind.

Die einschlägigen Rechtsvorschriften

Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften

3.
    Artikel 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, soweit es für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist, Folgendes:

„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

a)    .Arbeitnehmer' oder .Selbständiger': jede Person,

    i)    die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;

    

...

r)    .Versicherungszeiten': die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind;

s)    .Beschäftigungszeiten' oder .Zeiten einer Selbständigentätigkeit': die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, ferner alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Beschäftigungszeiten oder den Zeiten einer Selbständigentätigkeit gleichwertig anerkannt sind;

sa)    .Wohnzeiten': die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind oder unter denen sie als zurückgelegt gelten, als solche bestimmt oder anerkannt sind;

...“

4.
    Artikel 2 trägt den Titel „Persönlicher Geltungsbereich“. Artikel 2 Absatz 1 bestimmt:

„(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.“

5.
    Artikel 4 trägt den Titel „Sachlicher Geltungsbereich“. Artikel 4 Absatz 1 bestimmt, soweit es hier von Bedeutung ist, Folgendes:

„(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

...

h) Familienleistungen.“

6.
    Artikel 13 trägt den Titel „Allgemeine Regelung“ und ist die erste Vorschrift unter Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 mit der Überschrift „Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“.

7.
    Artikel 13 Absatz 1 bestimmt:

„Vorbehaltlich des Artikels 14c unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.“

8.
    Artikel 14c enthält eine Sonderregelung für Personen, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit ausüben. Diese Sonderregelung ist hier nicht einschlägig.

9.
    Artikel 13 Absatz 2 enthält eine Reihe von Vorschriften zur Bestimmung der jeweils anzuwendenden Rechtsvorschriften. Die Vorschriften stehen unter dem Vorbehalt, dass die Artikel 14 bis 17, die den Rest von Titel II ausmachen, nicht etwas anderes bestimmen. Diese Artikel enthalten verschiedene Sonderbestimmungen, die für diesen Fall nicht einschlägig sind.

10.
    Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a bestimmt:

„Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat“.

11.
    Artikel 13 Absatz 2 Buchstaben b bis e betrifft Selbständige, Personen, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausüben, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, Beamte und zum Wehrdienst oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene Personen. Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f, der durch die Verordnung Nr. 2195/91(3) mit Wirkung vom 29. Juli 1991 in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt wurde, bestimmt:

„[E]ine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.“

12.
    Artikel 94 der Verordnung trägt den Titel „Übergangsvorschriften für die Mitgliedstaaten“ und bestimmt, soweit es für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist, Folgendes:

„(1) Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für einen Zeitraum vor ... ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ...

(2) Für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach dieser Verordnung werden sämtliche Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor ... Anwendung dieser Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats ... zurückgelegt worden sind.

(3) Ein Leistungsanspruch wird auch für Ereignisse begründet, die vor ... Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ... liegen, soweit Absatz 1 nicht etwas anderes bestimmt.“

13.
    Österreich ist der Europäischen Gemeinschaft am 1. Januar 1995 beigetreten. Artikel 2 der Beitrittsakte(4) bestimmt, dass ab dem Beitritt die ursprünglichen Verträge für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich sind und in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte gelten. Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde in Österreich jedoch gemäß dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum(5) am 1. Januar 1994 anwendbar. Da sich der dem vorliegenden Fall zugrunde liegende Sachverhalt zwischen 1970 und 1975 ereignet hat, galten die Bestimmungen des EG-Vertrags und die der Verordnung als Gemeinschaftsvorschriften nicht.

Die innerstaatlichen Rechtsvorschriften

14.
    Nach den Vorschriften des österreichischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) sind Rentenversicherungsträger auf Antrag eines Versicherungsnehmers verpflichtet, die Versicherungszeiten zu ermitteln, die nach österreichischem Recht für die Berechnung der Altersrente des Versicherungsnehmers berücksichtigt werden(6). Die Versicherungseinrichtungen müssen in diesem Zusammenhang Zeiträume (Beitragszeiten) berücksichtigen, in denen die betreffende Person Beiträge geleistet hat, sowie sonstige im Hinblick auf die Altersrente als Versicherungszeiten rechtlich anerkannte Zeiträume (Ersatzzeiten).

15.
    § 227a ASVG enthält Bestimmungen über Ersatzzeiten, die für die Erziehung von Kindern nach dem 31. Dezember 1955 zurückgelegt wurden. DieseVorschrift bestimmt, soweit sie für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist, Folgendes(7):

„(1)    Als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 gelten überdies in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit bzw. beim Fehlen einer solchen, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, bei einer ... Versicherten, die ... ihr ... Kind ... tatsächlich und überwiegend erzogen hat, die Zeit dieser Erziehung im Inland im Ausmaß von höchstens 48 Kalendermonaten, gezählt ab der Geburt des Kindes.

    ...

(3)    Liegt die Geburt ... eines weiteren Kindes vor dem Ablauf der 48-Kalendermonate-Frist, so erstreckt sich diese nur bis zu dieser neuerlichen Geburt ...; endet die Erziehung des weiteren Kindes (Abs. 1) vor Ablauf dieser 48-Kalendermonate-Frist, sind die folgenden Kalendermonate bis zum Ablauf wieder zu zählen. Der Erziehung des Kindes im Inland steht eine solche in einem Mitgliedstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gleich, wenn für dieses Kind Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz bzw. auf Betriebshilfe nach dem Betriebshilfegesetz besteht bzw. bestanden hat und die Zeit der Kindererziehung nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens liegt.“

16.
    Der Wortlaut macht deutlich, dass § 227a Absatz 3 ASVG die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die außerhalb Österreichs, jedoch innerhalb des EWR zurückgelegt wurden, von einer zeitlichen und materiell-rechtlichen Bedingung abhängig macht. Solche Zeiten gelten nach dem ASVG nur dann als Ersatzzeiten, wenn sie 1. nach dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden und 2. die Antragstellerin für die Kindererziehung Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach dem ASVG (oder einem anderen österreichischen Bundesgesetz) bzw. auf Betriebshilfe nach dem Betriebshilfegesetz hat.

Sachverhalt und Vorlagefragen

17.
    Der im Vorlagebeschluss dargelegte Sachverhalt lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

18.
    Liselotte Kauer, Antragstellerin im Ausgangsverfahren, ist österreichische Staatsangehörige. Sie wurde 1942 geboren und hat drei Kinder, die 1966, 1967 und1969 zur Welt kamen. Nachdem sie im Juni 1960 ihre Studien abgeschlossen hatte, arbeitete sie von Juli 1960 bis August 1964 in Österreich. 1970 verlegte sie mit ihrer Familie ihren Wohnsitz von Österreich nach Belgien. Als sie in Belgien lebte, war sie nicht erwerbstätig. Sie leistete also weder zur belgischen Rentenversicherung noch offenbar zu irgend einem anderen Zweig des belgischen Systems der sozialen Sicherheit Beitragszahlungen. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich war sie wieder erwerbstätig und vollendete die Pflichtversicherungszeiten im September 1975 .

19.
    Im April 1998 stellte sie bei der Beklagten, der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, einen Antrag auf Feststellung der für die Berechnung ihrer Pension zu berücksichtigenden Versicherungszeiten. Mit Bescheid vom 6. April 1998 erkannte die Beklagte bis zum entsprechenden Stichtag 1. April 1998 eine Gesamtversicherungszeit von 355 Monaten an, darunter 46 Monate Ersatzzeiten gemäß § 227a ASVG für die Kindererziehung in der Zeit von Juli 1966, als das erste Kind der Antragstellerin geboren wurde, bis April 1970, als sie nach Belgien zog.

20.
    Die Antragstellerin focht diesen Bescheid bei den österreichischen Gerichten an. Ihrer Ansicht nach hätte die Beklagte 82 Monate Kindererziehungszeiten anerkennen müssen, weil die Zeit, in der sie ihr Kind in Belgien erzogen habe, als Ersatzzeit anzurechnen sei. Die Weigerung der Beklagten, im Ausland zurückgelegte Kindererziehungszeiten als Ersatzzeiten anzuerkennen (in ihrem Fall 36 Monate), verstoße gegen österreichisches Verfassungsrecht und gegen Gemeinschaftsrecht.

21.
    Die Beklagte lehnte diese Forderung mit der Begründung ab, dass eine innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zurückgelegte Kindererziehungszeit nur dann einer in Österreich zurückgelegten gleichgestellt werden könne, wenn sie nach dem 1. Januar 1994, dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens, liege. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil die fragliche Zeit der Kindererziehung zwischen 1970 und 1975 liege. Aus Artikel 2 der Beitrittsakte ergebe sich deutlich, dass die vor dem Beitritt geschlossenen Gemeinschaftsverträge und die davor erlassenen Rechtsakte der Gemeinschaft bis zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Januar 1995 keine Bindungswirkung gehabt hätten. Außerdem wirke das Gemeinschaftsrecht gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht auf Tatbestände zurück, die vor dem Beitritt eingetreten seien.

22.
    Nachdem die Klägerin mit ihrem Begehren vor dem Wiener Arbeits- und Sozialgericht und dem Wiener Oberlandesgericht erfolglos geblieben war, beantragte sie beim Obersten Gerichtshof die Aufhebung des Urteils des Oberlandesgerichts und trug u. a. vor, dass der Bescheid der Beklagten gegen die Verordnung Nr. 1408/71 verstoße. Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, dass die ihm vorliegende Rechtssache eine gemeinschaftsrechtliche Frage berührt, und hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage vorzulegen:

Ist Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1249/92 des Rates vom 30. April 1992, dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach Zeiten der Kindererziehung im Inland als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung gelten, in einem Mitgliedsstaat des EWR (hier: Belgien) jedoch nur dann, wenn sie nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens (1. Januar 1994) liegen und überdies nur unter der Voraussetzung, dass für dieses Kind Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach dem (österreichischen) Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) oder einem anderen (österreichischen) Bundesgesetz bzw. auf Betriebshilfe nach dem (österreichischen) Betriebshilfegesetz besteht oder bestanden hat?

23.
    Der Oberste Gerichtshof erklärt in seinem Vorlagebeschluss u. a., dass er insbesondere wissen wolle, ob eine Kindererziehung als „Ereignis“ im Sinne von Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sei.

24.
    Die österreichische und die spanische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen vorgelegt und eine Frage des Gerichtshofes schriftlich beantwortet. In der mündlichen Verhandlung haben sich die Antragstellerin, die österreichische Regierung und die Kommisson geäußert.

Abgrenzung der Fragen

25.
    Alle Beteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, sind der Ansicht, dass der Oberste Gerichtshof im Wesentlichen wissen wolle, ob § 227a ASVG mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Der Gerichtshof solle daher zwei Fragen beantworten: erstens, ob § 227a Absatz 3 ASVG insofern gegen Artikel 94 oder andere Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 bzw. gegen Bestimmungen des EG-Vertrags verstoße, als er - zeitlich - die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung, die in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR zurückgelegt wurden, auf Zeiten nach dem 1. Januar 1994 beschränke; zweitens, ob § 227a Absatz 3 ASVG insofern gegen die Verordnung Nr. 1408/71 oder gegen Bestimmungen des EG-Vertrags verstoße, als er die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung dadurch materiell-rechtlich begrenze, dass er verlange, dass die Antragstellerin Anspruch auf eine Geldleistung nach dem ASVG bzw. auf Betriebshilfe nach dem Betriebshilfegesetz habe.

26.
    Zunächst ist die erste dieser Fragen zu prüfen, weil es die einzige im Vorlagebeschluss ausdrücklich gestellte Frage ist. Hinzu kommt, dass die Klage der Antragstellerin, falls die in § 227a ASVG vorgesehene zeitliche Beschränkung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, im Ausgangsverfahren abgewiesen werden könnte, ohne dass der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Falles über dieVereinbarkeit einer materiell-rechtlichen Beschränkung wie der in § 227a ASVG festgelegten entscheiden müsste.

Die zeitliche Beschränkung: Zusammenfassung der Argumente

27.
    Die schriftlichen Erklärungen, die in dieser Rechtssache zu der in § 227a Absatz 3 ASVG vorgesehenen zeitlichen Beschränkung eingereicht wurden, beziehen sich erstens auf die Vereinbarkeit dieser Beschränkung mit der Verordnung Nr. 1408/71 und zweitens auf ihre Vereinbarkeit mit den Artikeln 18 und 39 EG (früher Artikel 8a und 48 EG-Vertrag).

Erklärungen zur Verordnung Nr. 1408/71

28.
    Die österreichische Regierung und die Kommission tragen vor, dass die in § 227a Absatz 3 ASVG vorgesehene zeitliche Beschränkung mit Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 vereinbar sei und dass die Antragstellerin daher keinen Anspruch aus der Verordnung darauf habe, dass ihr die Zeit, in der sie in Belgien gelebt habe, für ihre Pension angerechnet werde.

29.
    Die österreichische Regierung ist der Auffassung, dass die Frage der Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung, die vor dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden, nach Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 zu untersuchen sei. Danach würden für die Feststellung von Ansprüchen der sozialen Sicherheit Versicherungszeiten sowie Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, wenn diese Zeiten „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates ... zurückgelegt worden sind“. Folglich müssten die Mitgliedstaaten nach Artikel 94 Absatz 2 nur Zeiten berücksichtigen, die ein Arbeitnehmer gemäß den nach inländischem Recht geltenden Voraussetzungen zurückgelegt habe. Im vorliegenden Fall erfülle die von der Antragstellerin von 1970 bis 1975 in Belgien zurückgelegte Zeit nicht die nach österreichischem Recht geltenden Voraussetzungen für eine Anerkennung als Ersatzzeit. Deshalb könne diese Zeit bei der Berechnung ihrer Pension nicht berücksichtigt werden.

30.
    Der Tatbestand einer Kindererziehung sei nicht als „Ereignis“ im Sinne von Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen. Dieser Begriff beziehe sich auf Ereignisse, die einen Anspruch auf soziale Leistungen begründeten, z. B. das Erreichen des Rentenalters oder den Eintritt von Invalidität oder Tod, schließe aber nicht alle anderen Tatbestände - wie eine Zeit der Kindererziehung - mit ein, die ein Mitgliedstaat zur Feststellung eines Anspruchs auf soziale Leistungen und zu deren Berechnung berücksichtigen könne.

31.
    Zudem müsse der Versuch der Antragstellerin, gestützt auf die Verordnung Nr. 1408/71 eine Anerkennung ihrer in Belgien zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung nach österreichischem Recht zu erwirken, auf jeden Fall deshalb scheitern, weil sie, als sie in Belgien gelebt habe, gemäß Artikel 13 Absatz 2Buchstabe f der Verordnung dem belgischen und nicht dem österreichischen Sozialrecht unterlegen habe.

32.
    Die Kommission betont zunächst, dass Artikel 94 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 den zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung beschränke, indem er bestimme, dass „[d]iese Verordnung ... keinen Anspruch für einen Zeitraum vor ... ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats [begründet]“. Artikel 94 Absatz 1 solle zwar Ansprüche schützen, die nach inländischem Recht bereits begründet worden seien, aber ein Anspruch, der vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich am 1. Januar 1994 nicht nach inländischem Recht begründet worden sei, könne nicht aufgrund dieser Verordnung rückwirkend begründet werden. Um allerdings festzustellen, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt ein Anspruch „begründet“ werde, müsse man die in Artikel 94 Absätze 2 und 3 festgelegten Übergangsbestimmungen untersuchen.

33.
    Die Kommission erklärt unter Hinweis auf die in Artikel 1 Buchstaben r, s und sa der Verordnung Nr. 1408/71 festgelegten Begriffsbestimmungen, dass nach Artikel 94 Absatz 2 nur Zeiten zu berücksichtigen seien, die in Übereinstimmung mit den inländischen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden seien. Im Gegensatz zur Auffassung der österreichischen Regierung sei, was Artikel 94 Absatz 3 angehe, eine Zeit der Kindererziehung als ein „Ereignis“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Die Möglichkeit, Ansprüche nach Artikel 94 Absatz 3 im Hinblick auf ein Ereignis zu begründen, das vor Inkrafttreten der Verordnung eingetreten ist, setze jedoch voraus, dass „[Artikel 94] Absatz 1 nichts anderes bestimmt“. Daraus folge, dass Artikel 94 Absatz 3 nur dann anwendbar sei, wenn das „vor der Anwendung der Verordnung gelegene Ereignis“ als solches bereits einen Leistungsanspruch begründet habe. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, denn aus § 227a ASVG ergebe sich eindeutig, dass für die Zeit, die die Antragstellerin in Belgien für die Kindererziehung aufgewendet habe, keinerlei Anspruch auf soziale Leistungen bestehe.

34.
    Die spanische Regierung ist im Gegensatz zur österreichischen Regierung und zur Kommission der Ansicht, dass die in § 227a Absatz 3 ASVG festgelegte zeitliche Beschränkung gegen die Verordnung Nr. 1408/71 verstoße. Die Frage der Anerkennung in Österreich von Zeiten der Kindererziehung falle nicht unter Artikel 94 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71. Es gehe nicht um die Anerkennung von vor Inkrafttreten der Verordnung bestehenden oder begründeten Ansprüchen, weil Zeiten der Kindererziehung für den Erwerb von Pensionsansprüchen nur anspruchsbegründende Kriterien seien. Die spanische Regierung ist offenbar der Ansicht, dass Zeiten der Kindererziehung als ein Ereignis im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen und daher bei der Berechnung der Pension zu berücksichtigen seien, auch wenn sie vor Inkrafttreten der Verordnung in Österreich (1. Januar 1994) zurückgelegt worden seien.

Erklärungen zu den Artikeln 18 und 39 EG

35.
    Die österreichische Regierung betont, dass die Freizügigkeitsbestimmungen des Vertrages zu dem Zeitpunkt, als die Antragstellerin 1970 nach Belgien gezogen sei, noch nicht in Österreich gegolten hätten. Die Antragstellerin sei also nicht als Wanderarbeitnehmerin oder als Gemeinschaftsbürgerin im Sinne der Artikel 39 und 18 EG umgezogen. Sie könne sich daher gegenüber den Vorschriften des ASVG über die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung nicht auf diese Bestimmungen berufen. Diese Frage sei allein nach Artikel 94 der Verordnung Nr. 1408/71 zu beurteilen.

36.
    Die Kommission räumt ein, dass die Antragstellerin sich nicht auf Artikel 39 EG berufen könne, da sie in Belgien keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Die Kommission hat jedoch auf die Frage des Gerichtshofes, was sich für die Beantwortung der Vorlagefrage aus dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Elsen(8) ableiten lasse, geantwortet, dass die Antragstellerin sich auf das Freizügigkeitsrecht für Unionsbürger nach Artikel 18 EG berufen könne und dass die österreichischen Rechtsvorschriften dadurch gegen diese Vorschrift verstießen, dass sie Zeiten der Kindererziehung, die in einem Mitgliedstaat des EWR oder der EU vor dem 1. Januar 1994 zurückgelegt worden seien, nicht als Ersatzzeiten berücksichtigten.

37.
    Die Kommission weist in diesem Zusammenhang die Auffassung der österreichischen Regierung zurück, dass die Freizügigkeitsbestimmungen des Vertrages auf die Anerkennung von vor Inkrafttreten dieser Bestimmungen in Österreich zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung aus zeitlichen Gründen keine Anwendung fänden. Artikel 18 EG sei, da die Beitrittsakte keine Übergangsbestimmungen enthalte, anwendbar, wenn eine nationale Behörde wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens nach Inkrafttreten des EG-Vertrags in dem betreffenden Mitgliedstaat die Pension einer Person feststelle und berechne. Unter Bezugnahme auf die Urteile in den Rechtssachen Vougioukas(9) und Österreichischer Gewerkschaftsbund(10) führt die Kommission aus, die Feststellung und Berechnung einer Pension beruhten zwangsläufig auf in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten. Die Anwendung von Artikel 18 EG auf diese Handlungen beinhalte also keine rückwirkende Anerkennung von auf Gemeinschaftrecht beruhenden Rechten, selbst wenn einige der zu berücksichtigenden Sachverhalte, z. B. Zeiten der Kindererziehung, vor dem Inkrafttreten des EG-Vertrags gelegen hätten. Durch die Anwendung von Artikel 18 EG werde in diesem Zusammenhang lediglich gewährleistet, dass Wanderarbeitnehmer jetzt nicht diskriminiert würden.

38.
    Die österreichischen Behörden seien daher bei der Entscheidung über die Frage der Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung nach Artikel 18 EGverpflichtet, niemanden zu diskriminieren, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt habe. Durch die in § 227a Absatz 3 ASVG festgelegte Regelung würden Personen insofern diskriminiert, als Zeiten der Kindererziehung ausgeschlossen würden, die, wären sie in Österreich zurückgelegt worden, berücksichtigt worden wären. Diese Diskriminierung sei nicht gerechtfertigt. Daher verstoße § 227a Absatz 3 gegen das Gemeinschaftsrecht, und die österreichischen Behörden seien verpflichtet, die von der Antragstellerin in Belgien zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung genauso zu berücksichtigen, als wären sie in Österreich zurückgelegt worden

Zur zeitlichen Beschränkung

39.
    Nach dem Sachverhalt und den dem Gerichtshof vorgelegten schriftlichen Erklärungen ist es zur Beantwortung des dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorliegenden Rechtsstreits erforderlich, festzustellen, ob eine innerstaatliche Rechtsvorschrift dem Gemeinschaftsrecht zuwiderläuft, die die Anerkennung von in einem Mitgliedstaat des EWR oder der EU zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung auf solche Zeiten beschränkt, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1408/71 in dem Mitgliedstaat liegen, in dem die Anerkennung begehrt wird. Anders gesagt, verstößt eine Regelung wie § 227a Absatz 3 ASVG dadurch gegen Gemeinschaftsrecht, dass Zeiten der Kindererziehung, die in Österreich vor dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden, anders behandelt werden als in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten?

40.
    Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich zunächst die einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 und danach die Artikel 18 und 39 EG untersuchen.

Die Verordnung Nr. 1408/71

41.
    Als erstes sind drei Vorfragen zu klären.

42.
    Erstens muss festgestellt werden, ob eine Person, die sich in der Lage der Antragstellerin befindet, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fällt.

43.
    Nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung gilt die Verordnung für Gemeinschaftsbürger, die Arbeitnehmer oder Selbständige sind und den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten über die soziale Sicherheit unterliegen oder unterlagen, sowie für deren Familienangehörige. Gemäß Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung und der Rechtsprechung des Gerichtshofes fällt unter den in der Verordnung verwendeten Begriff „Arbeitnehmer oder Selbständige“ jede Person, die, ob sie nun eine Erwerbstätigkeit ausübt oder nicht, die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten besitzt, sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System dersozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist(11). Gemäß dem Vorlagebeschluss war die Antragstellerin in Österreich viele Jahre lang im Hinblick auf die Gewährung einer Altersrente pflichtversichert. Es steht daher außer Frage, dass die Antragstellerin als Arbeitnehmerin im Sinne der Artikel 1 Buchstabe a und 2 Absatz 1 in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fällt.

44.
    Die Tatsache, dass die Antragstellerin gemäß den Angaben des vorlegenden Gerichts in Belgien keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte, schließt sie vom Geltungsbereich der Verordnung nicht aus. Es trifft zu, dass der Gerichtshof wiederholt für Recht erkannt hat, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die entsprechenden Durchführungvorschriften, darunter die Verordnung Nr. 1408/71, nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen(12). Diese Rechtsprechung ist jedoch meines Erachtens nicht auf den Fall von Personen übertragbar, die zusammen mit ihrem Ehegatten von einem Mitgliedstaat in einen anderen gezogen sind, die im zweiten Staat gearbeitet haben und dort Zeit für die Kindererziehung aufgewendet haben. Aus dem Wortlaut von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung wird jedenfalls deutlich, dass ihre Bestimmungen auf Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern Anwendung finden(13). Gemäß den Angaben, die die österreichische Regierung dem Gerichtshof gemacht hat, hat der Ehegatte der Antragstellerin in Belgien gearbeitet und dort Sozialabgaben entrichtet. Die Antragstellerin fällt daher in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Außerdem kann sie sich in ihrer Eigenschaft als Familienangehörige im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 auf alle Vorschriften der Verordnung berufen, mit Ausnahme allein der Vorschriften über Leistungen, die ausschließlich für Arbeitnehmer gelten, z. B. über Arbeitslosengeld(14).

45.
    Zweitens ist zu untersuchen, ob die von der Antragstellerin im Ausgangsverfahren begehrten sozialen Leistungen insofern in den sachlichenGeltungsbereich der Verordnung fallen, als sie gemäß Artikel 4 Absatz 1 zu den von der Verordnung erfassten Zweigen der sozialen Sicherheit gehören.

46.
    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes richtet sich die Beantwortung der Frage, ob eine Leistung in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt oder nicht, im Wesentlichen nach deren grundlegenden Merkmalen, insbesondere ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, und nicht danach, ob die Leistung nach dem nationalen Recht als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird. Außerdem ist eine Leistung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit anzusehen, wenn sie nicht aufgrund einer auf die persönliche Bedürftigkeit abstellenden Ermessensentscheidung, sondern aufgrund eines gesetzlichen Tatbestandes gewährt wird und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht(15). Meines Erachtens entspricht im ASVG die Anerkennung zusätzlicher Zeiten der Kindererziehung für die Pension diesen Kriterien, was von der österreichischen Regierung nicht bestritten wurde.

47.
    Drittens ist festzustellen, ob österreichisches Recht nach der Verordnung Nr. 1408/71 auf den Fall einer Arbeitnehmerin Anwendung findet, die ihre Erwerbstätigkeit in Österreich aufgegeben, danach ein Kind zur Welt gebracht und anschließend ihren Wohnsitz für etwa fünf Jahre in einen anderen Staat verlegt hat, bevor sie nach Österreich zurückgekehrt und dort wieder erwerbstätig geworden ist.

48.
    Die österreichische Regierung meint, dass unter solchen Umständen österreichisches Recht nach der Verordnung nicht anwendbar sei. Die Antragstellerin habe im August 1964 - mehr als 21 Monate vor der Geburt ihres ersten Kindes am 25. Juni 1966 - jegliche Erwerbstätigkeit aufgegeben und von da an bis zu ihrem Umzug nach Belgien im April 1970 keine andere wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Die Antragstellerin habe daher nicht gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung dem österreichischen Recht über die soziale Sicherheit unterlegen; dieses Recht habe für sie nur nach Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f wegen ihrer erneuten Wohnsitznahme in Österreich gegolten. Nach dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Kuusijärvi(16) sei das Recht dieses Mitgliedstaats gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f dann nicht mehr anwendbar, wenn eine Person ihren Wohnsitz in einen anderen Staat verlege. Daraus folge, dass die Frage der Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die die Antragstellerin in Belgien zurückgelegt habe, nach belgischem Recht zu beurteilen sei. Die Tatsache, dass das belgische Recht offenbar keine derartige Anerkennung vorsehe und dass die Antragstellerin deshalb infolge ihres Umzugs nach Belgienbenachteiligt sein könne, beruhe auf den nach Erlass der Verordnung Nr. 1408/71 verbliebenen Unterschieden zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit. Sie habe daher keinen Einfluss auf die Vereinbarkeit des österreichischen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht.

49.
    Ich halte dieses Argument nicht für überzeugend. Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f wurde durch die Verordnung Nr. 2195/91 in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt(17), viele Jahre nach dem Sachverhalt, der dem vorliegenden Fall zugrunde liegt. Die Frage, welches Recht auf die Antragstellerin Anwendung findet, ist daher nach Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung in der Fassung zu entscheiden, die vor der Änderung durch die Verordnung Nr. 2195/91 galt. Nach den Urteilen Ten Holder(18) und Twomey(19) des Gerichtshofes war Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung vor der Änderung in dem Sinne auszulegen, dass ein Arbeitnehmer, der seine im Gebiet eines Mitgliedstaats ausgeübte Tätigkeit beendet und danach nicht im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats gearbeitet hat, weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats seiner letzten Beschäftigung unterliegt.

50.
    In Anbetracht dieser Vorbemerkungen bin ich der Auffassung, dass eine Person in der Situation der Antragstellerin und die österreichischen Vorschriften, um die es im Ausgangsverfahren geht, in den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen. Außerdem war gemäß der Verordnung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt österreichisches und nicht belgisches Recht anzuwenden.

51.
    Danach stellt sich die Frage, ob eine Vorschrift wie § 227a ASVG insofern gegen Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 verstößt, als sie die Anerkennung von in einem Mitgliedstaat des EWR oder der EU zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung auf Zeiten beschränkt, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung in dem Mitgliedstaat liegen, in dem die Anerkennung beantragt wird.

52.
    Die in Artikel 94 Absätze 1 bis 3 festgelegten Übergangsvorschriften haben eine lange Vorgeschichte. Artikel 53 der Verordnung Nr. 3/58(20), Vorläufer der Verordnung Nr. 1408/71, enthielt ähnliche Regeln, und entsprechende Vorschriften finden sich in einer Reihe internationaler Übereinkommen zur Festigung undKoordinierung der sozialen Sicherheit von Arbeitnehmern und Selbständigen(21). Auch der von der Kommission 1998 vorgelegte Vorschlag für eine neue Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherheit(22) enthält eine Bestimmung wie Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71(23).

53.
    Der Gerichtshof hat sich zwar verschiedentlich mit der Auslegung von Artikel 53 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 3/58(24) und von Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71(25) befasst, aber seine Rechtsprechung gibt auf die hier zu klärende Frage keine klare Antwort. Ebenso tragen weder die Entstehungsgeschichte dieser Verordnungen noch die von der Kommission zu diesen Verordnungen jeweils gegebenen Begründungserwägungen zur Klärung dieser Frage bei.

54.
    Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist Artikel 94 daher nach Sinn und Zweck der Verordnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofes über die Grundsätze der zeitlichen Geltung von Gemeinschaftsrechtsvorschriften auszulegen.

55.
    Artikel 94 Absatz 1 bestimmt, dass die Verordnung keinen Anspruch für einen Zeitraum vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats begründet. Diese Vorschrift bringt den Grundsatz zum Ausdruck, dass das Gemeinschaftsrecht im Allgemeinen keine Rückwirkung hat(26). Sie enthält insofern die allgemeine Regel für die zeitliche Geltung der Verordnung. Mit Artikel 94 Absätze 2 und 3 soll meines Erachtens keine Ausnahme von dieser Regel gemacht werden. Diese Absätze bringen einen weiteren anerkannten Grundsatz zum Ausdruck, wonach Rechtsvorschriften, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, auf die künftigen Wirkungen unter früherem Recht eingetretener Sachverhalteanwendbar sind(27), soweit ihre unmittelbare Anwendung nicht dem Vertrauensschutz zuwiderlaufen würde(28). Artikel 94 Absätze 2 und 3 hat also innerhalb der Systematik des Artikels 94 im Wesentlichen die Funktion, zu erklären, unter welchen Umständen Ansprüche als „begründet“ im Sinne von Artikel 94 Absatz 1 anzusehen sind.

56.
    Da die Antragstellerin im Ausgangsverfahren gemäß Artikel 94 Absatz 1 keine neuen Ansprüche hinsichtlich der von ihr in Belgien zurückgelegten Zeit der Kindererziehung erwerben kann, stellt sich die Frage, ob diese Zeiten nach Artikel 94 Absätze 2 oder 3 zu berücksichtigen sind.

- Artikel 94 Absatz 2

57.
    Artikel 94 Absatz 2 bestimmt, wie gesagt, Folgendes: „Für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach dieser Verordnung werden sämtliche Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor ... Anwendung dieser Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats ... zurückgelegt worden sind.“

58.
    Die Begriffe „Versicherungszeiten“ und „Beschäftigungs- und Wohnzeiten“ werden in Artikel 94 Absatz 2 nicht erläutert, so dass auf die in Artikel 1 Buchstaben r, s und sa der Verordnung enthaltenen Begriffsbestimmungen zurückzugreifen ist(29).

59.
    Gemäß Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung sind „Versicherungszeiten“ „die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind“.

60.
    Aus dieser Begriffsbestimmung folgt meines Erachtens, dass nach Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung nur Zeiten zu berücksichtigen sind, die die nach innerstaatlichem Recht wesentlichen Bedingungen für eine Anerkennung erfüllen. Diese Regel setzt jedoch die Vereinbarkeit dieses Rechts mit denFreizügigkeitsbestimmungen des EG-Vertrags voraus(30). Verstößt eine nationale Rechtsvorschrift dadurch gegen diese Vorschriften des EG-Vertrags, dass für die Begründung eines Anspruchs auf Leistungen aus der Pensionsversicherung nur im Inland zurückgelegte Versicherungszeiten berücksichtigt werden, unter Ausschluss ähnlicher, in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegter Zeiten, so kann die Anerkennung der letztgenannten Zeiten nicht unter Hinweis auf Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung verweigert werden.

61.
    Diese Auslegung von Artikel 94 Absatz 2 entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach „die Mitgliedstaaten ihre Systeme der sozialen Sicherheit, insbesondere die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Leistung besteht, nach ihren Vorstellungen gestalten [können], sofern sie bei der Ausübung dieser Zuständigkeit nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen [können]“(31) und „Artikel [42 EG] und die Verordnung Nr. 1408/71 nach ständiger Rechtsprechung lediglich die Zusammenrechnung der in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten [vorsehen]; sie regeln nicht die Voraussetzungen für die Entstehung dieser Versicherungszeiten“(32).

62.
    Für die Ansicht, dass die nach Artikel 94 Absatz 2 zu berücksichtigenden Zeiten nach nationalem Recht vorbehaltlich dessen Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag zu beurteilen sind, spricht auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Auslegung des Ausdrucks „Versicherungszeiten oder gleichgestellte Zeiten“ in den Artikeln 27 und 28 in Verbindung mit Artikel 1 Buchstaben p und r der Verordnung Nr. 3/58(33) sowie des Begriffes „Versicherungszeiten“ in Artikel 45 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung Nr. 1408/71(34). In der Rechtssache Iurlaro erklärte der Gerichtshof z. B. nach einem Zitat von Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung Nr. 1408/71, dass „der Begriff .Versicherungszeiten' insbesondere für die Zwecke der Anwendung des Artikels 45 der Verordnung Nr. 1408/71 die Zeiten [bezeichnet], die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind ..., jedoch vorbehaltlich der Beachtung der Artikel [39 bis 42] des Vertrages“(35).

63.
    Wenn Artikel 94 Absatz 2 so, wie ich dargelegt habe, keinerlei Anspruch auf Anerkennung von Versicherungszeiten begründet, die nicht die Voraussetzungen der inländischen Rechtsvorschriften erfüllen, welchen Zweck und welche Wirkung hat er dann? Er betrifft, wie die Kommission ausgeführt hat, die Situation von Personen, die Versicherungszeiten nach dem Recht eines Mitgliedstaats zurückgelegt haben, in dem die Verordnung Nr. 1408/71 - als diese Versicherungszeiten zurückgelegt wurden - noch nicht galt(36). Artikel 94 Absatz 2 soll in diesem Zusammenhang gewährleisten, dass die zuständigen Behörden derartige vor Geltung der Verordnung zurückgelegte Zeiten bei der Bestimmung von Ansprüchen aus der Verordnung Nr. 1408/71 berücksichtigen; die Weigerung, solche Zeiten allein deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie vor Inkrafttreten der Verordnung zurückgelegt wurden, wäre danach rechtswidrig. Als der Gerichtshof in der Rechtssache Rönfeldt(37) zu prüfen hatte, ob die Weigerung der deutschen Behörden rechtmäßig war, bei der Berechnung der Rente eines deutschen Staatsangehörigen Versicherungszeiten, die dieser in Dänemark zurückgelegt hatte, bevor die Verordnung Nr. 1408/71 in diesem Land in Kraft trat, zu berücksichtigen, stellte er fest, dass solche Zeiten nach Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung zu berücksichtigen sind(38).

64.
    Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung keine Verpflichtung vorsieht, die Zeit, in der die Antragstellerin ihr Kind in Belgien erzog, bei der Berechnung ihrer österreichischen Rente zu berücksichtigen, denn in dieser Zeit erfüllte sie nicht das Wohnsitzerfordernis, das im ASVG für eine Anerkennung der Zeit der Kindererziehung als Ersatzzeit vorgesehen ist. Nachstehend werde ich untersuchen, ob dieses Ergebnis mit den Freizügigkeitsregeln des EG-Vertrags vereinbar ist(39).

- Artikel 94 Absatz 3

65.
    Artikel 94 Absatz 3 bestimmt, dass „[e]in Leistungsanspruch ... auch für Ereignisse begründet [wird], die vor ... Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats ... liegen.“

66.
    Diese Vorschrift betrifft meines Erachtens Fälle, in denen ein Ereignis wie der tödliche Arbeitsunfall einer in den Geltungsbereich der Verordnung fallenden Person oder die durch eine Kündigung hervorgerufene Arbeitslosigkeit einerPerson(40) vor Inkrafttreten der Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat eingetreten ist und rechtliche Wirkungen hat - entweder in Form eines Anspruchs auf soziale Leistungen oder in Form eines Anspruchs auf Anerkennung bestimmter Zeiten als Ersatz für Beitragszeiten -, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung fortbestehen. In derartigen Fällen sind die sich aus der Verordnung ergebenden Ansprüche der betroffenen Person mit unmittelbarer Wirkung vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung an zu gewähren(41). Artikel 94 Absatz 3 soll also im Wesentlichen verhindern, dass der fragliche Mitgliedstaat diese Ansprüche allein mit der Begründung ablehnt, dass das sie begründende Ereignis vor Inkrafttreten der Verordnung gelegen habe.

67.
    Diese Regel steht jedoch ausdrücklich unter dem Vorbehalt, „soweit Absatz 1 nicht etwas anderes bestimmt“; Absatz 1 bestimmt, dass diese Verordnung keinen Anspruch für einen Zeitraum vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats begründet. Meines Erachtens - und darin stimme ich mit der Kommission überein - folgt aus diesem Wortlaut, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, vom Inkrafttreten der Verordnung an Rechte aus der Verordnung in Bezug auf Ereignisse zu gewähren, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind, nur dann besteht, wenn diese Ereignisse einen Anspruch auf soziale Leistungen oder auf Anerkennung bestimmter Zeiten als Ersatz für nach nationalem Recht vorgesehene Beitragszeiten begründet haben. Artikel 94 Absatz 3 hätte sonst zur Folge, dass unter Verstoß gegen Artikel 94 Absatz 1 - rückwirkend - neue Ansprüche begründet würden.

68.
    Im vorliegenden Fall ist es klar, dass die von der Antragstellerin in Belgien zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung im Hinblick auf Leistungen aus der Pensionsversicherung nach § 227a Absatz 3 ASVG keinen Anspruch auf Anerkennung dieser Zeiten als Ersatzzeiten begründen. Daraus folgt, dass Artikel 94 Absatz 3 selbst dann, wenn die Durchführung der Aufgabe der Erziehung eines Kindes - wie die Kommission geltend macht - unter den Begriff „Ereignis“ fallen sollte, auf keinen Fall eine Verpflichtung der österreichischen Behörden zur Folge haben kann, diese Zeiten als Ersatzzeiten anzuerkennen.

69.
    Aus diesen Gründen komme ich zu dem Ergebnis, dass § 227a ASVG insoweit, als er die Anerkennung von in einem Mitgliedsstaat des EWR oder der EG zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung auf Zeiten beschränkt, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung in dem Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, in dem die Anerkennung begehrt wird, nicht gegen Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 verstößt.

Artikel 18 und 39 EG

70.
    Die österreichische Regierung und die Kommission stimmen darin überein, dass Artikel 39 EG im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

71.
    Diese Auffassung dürfte zutreffen. Die Antragstellerin gab ihre Erwerbstätigkeit mehr als 21 Monate vor ihrem Umzug nach Belgien auf, wo sie keinerlei Erwerbstätigkeit ausübte. Daher ist sie nicht als Wanderarbeitnehmerin im Sinne von Artikel 39 EG anzusehen.

72.
    Die Kommission erklärt jedoch, die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens könne sich auf Artikel 18 EG berufen. Ihrer Ansicht nach verstößt die Nichtanerkennung der vor dem 1. Januar 1994 in einem Mitgliedsstaat des EWR oder der EG zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung als Ersatzzeiten gegen diese Vorschrift(42).

73.
    Diese Argumentation wirft eine Reihe schwieriger Fragen zum zeitlichen und sachlichen Geltungsbereich von Artikel 18 EG auf. Diese Fragen wurden in diesem Fall nicht behandelt, weil sie weder im Vorlagebeschluss noch in der Vorlagefrage auftauchen und weil Artikel 18, wie gesagt, von der Kommission nur in Beantwortung einer vom Gerichtshof zu einem anderen Punkt gestellten Frage genannt wurde. Demzufolge hatten vor allem die Mitgliedstaaten keine Gelegenheit, sich mit den möglicherweise weit reichenden Auswirkungen der Auslegung der Kommission von Artikel 18 zu befassen. Eine Prüfung von Artikel 18 erscheint unter in diesen Umständen nicht angebracht. Ich bezweifele jedoch, dass Artikel 18, der hauptsächlich den Zweck hat, die Freizügigkeitsrechte von Arbeitnehmern auf alle Unionsbürger auszudehnen, im vorliegenden Fall anwendbar ist.

74.
    Ich komme daher zu dem Ergebnis - ohne dass es nötig wäre, dass der Gerichtshof über diese Punkte ausdrücklich entscheidet -, dass eine Vorschrift wie § 227a ASVG insoweit, als sie die Anerkennung von in einem Mitgliedsstaat des EWR oder der EG zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung auf Zeiten beschränkt, die nach dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden, nicht gegen die Artikel 18 und 39 EG verstößt.

Die sachliche Beschränkung

75.
    In Anbetracht der vorstehenden Schlussfolgerung braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden, ob § 227a Absatz 3 ASVG dadurch gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, dass er die Anerkennung von in einem Mitgliedstaat des EWR oder der EU zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung sachlich dadurch beschränkt, dass er eine solche Anerkennung nur dann vorsieht, wenn dieMutter Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach dem ASVG oder einem anderen österreichischen Bundesgesetz bzw. auf Betriebshilfe nach dem Betriebshilfegesetz hat(43).

Ergebnis

76.
    Aus all diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass die vom Obersten Gerichtshof vorgelegte Frage folgendermaßen beantwortet werden sollte:

Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, steht einer Vorschrift eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums zurückgelegte Zeiten der Kindererziehung nur dann als Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung gelten, wenn sie zurückgelegt wurden, nachdem die Verordnung in dem erstgenannten Staat in Kraft getreten war, während im erstgenannten Staat zurückgelegte Zeiten der Kindererziehung ohne zeitliche Beschränkung als Ersatzzeiten angesehen werden.


1: -     Originalsprache: Englisch.


2: -     Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2, in der Folge vielfach geändert). Die letzte kodifizierte Fassung dieser Verordnung ist die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. 1997, L 28, S. 1).


3: -     Verordnung (EWG) Nr. 2195/91 des Rates vom 25. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 206, S. 2).


4: -     ABl. 1994 C 241, S. 21.


5: -     ABl. 1994, L 1, S. 3; vgl. insbesondere Artikel 29, Protokoll 1 und Anhang VI.


6: -     Der Versicherungsnehmer kann einen derartigen Antrag allerdings frühestens zwei Jahre vor Erreichen des Ruhestandsalters stellen.


7: -     In der im BGBl. 1997/47 veröffentlichten Fassung.


8: -     Urteil vom 23. November 2000 in der Rechtssache C-135/99 (Elsen).


9: -     Rechtssache 443/93, Slg. 1995, I-4033.


10: -     Urteil vom 30. November 2000 in der Rechtssache C-195/98.


11: -     Vgl. insbesondere die Urteile in den Rechtssachen 182/78 (Pierik, Slg. 1979, 1977, Randnr. 4), C-85/96 (Martínez Sala, Slg. 1998, Slg. I-2691, Randnr. 36), C-275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419, Randnr. 21) und zuletzt in C-262/96 (Sürül, Slg. 1999, I-2685, Randnr. 85 f.).


12: -     Vgl. insbesondere Urteile in der Rechtssache 153/91 (Petit, Slg. 1992, I-4973, Randnr. 8), in den verbunden Rechtssachen C-64/96 und C-65/96 (Uecker und Jacquet, Slg. 1997, I-3171, Randnr. 16), in den verbundenen Rechtssachen C-225/95, C-226/95 und C-227/95 (Kapasakalis, Slg. 1998, I-4239, Randnr. 22) sowie zuletzt in der Rechtssache C-18/95 (Terhoeve, Slg. 1999, I-345, Randnr. 26).


13: -     Siehe in diesem Sinne auch die Urteile in den Rechtssachen 7/75 (Eheleute F., Slg. 1975, 679, Randnr. 16) und C-211/97 (Gomez-Rivero, Slg. 1999, I-3219, Randnr. 26).


14: -     Vgl. Urteil in der Rechtssache C-308/93 (Cabanis-Issarte, Slg. 1996, I-2097, Randnr. 34), in den verbundenen Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever und Zachow, Slg. 1996, I-4895, Randnr. 32) sowie in der Rechtssache C-185/96 (Kommission/Griechenland, Slg. 1998, I-6601, Randnr. 28). So ähnlich auch im Schlussantrag von Generalanwalt Alber vom 26. Juni 2001 in der Rechtssache C-189/00 (Ruhr).


15: -     Vgl. zuletzt das Urteil vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-85/99 (Offermanns, Randnrn. 27 f.).


16: -     Rechtsache C-275/96, siehe oben, Fußnote 11.


17: -     Zitiert in Fußnote 3. Zu den Umständen, die zum Erlass dieser Vorschrift führten, siehe meine in Fußnote 11 zitierten Schlussanträge Kuusijärvi, insbesondere die Nrn. 44 bis 52.


18: -     Rechtssache 302/84, Slg. 1986, 1821.


19: -     Rechtssache C-215/90, Slg. 1992, I-1823.


20: -    Verordnung Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, ABl. Nr. 30, S. 561.


21: -     Siehe z. B. Artikel 53 des am 9. Dezember 1957 von den sechs Gründungsmitgliedern der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unterzeichneten Europäischen Abkommens über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, Tractatenblad 1958, Nr. 54; Artikel 74 des am 14. Dezember 1972 in Paris unterzeichneten Europäischen Abkommens über die Systeme der Sozialen Sicherheit des Europarats, European Treaty Series Nr. 78.


22: -     Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (KOM/98/779 endg.).


23: -     Siehe Artikel 70 des Vorschlags.


24: -     Siehe Urteile in den Rechtssachen 44/65 (Singer, Slg. 1965, 1268, 1276) und 68/69 (Brock, Slg. 1970, 171, Randnrn. 7 bis 9).


25: -     Siehe Urteile in den Rechtssachen 10/78 (Belbouab, Slg. 1978, 1915, Randnr. 8), C-105/89 (Buhari Haji, Slg. 1990, I-4211, Randnr. 21), C-227/89 (Rönfeldt, Slg. 1991, I-323, Randnr. 15) und Kuusijärvi (siehe oben, Fußnote 11, Randnrn. 24 und 25).


26: -     Zur Anwendung dieses Grundsatzes im Rahmen der sozialen Sicherheit siehe Urteil in der Rechtssache 104/76 (Jansen, Slg. 1977, 829, Randnr. 7).


27: -     Siehe im Rahmen der sozialen Sicherheit die in Fußnote 24 zitierten Urteile Singer (S. 1276) und Brock (Randnr. 7).


28: -     Siehe insbesondere die Urteile in den Rechtssachen 1/73 (Westzucker, Slg. 1973, 723, Randnrn. 6 bis 10), 96/77 (Bauche, Slg. 1978, 383, Randnrn. 54 bis 58) und 278/84 (Deutschland/Kommission, Slg. 1986, 1, Randnrn. 34 bis 37).


29: -     Vgl. hierzu auch im Rahmen von Artikel 28 der Verordnung Nr. 3/1958 das Urteil in der Rechtssache 14/67 (Welchner, Slg. 1967, 331, 337).


30: -     Siehe hierzu Urteil in der Rechtssache C-302/90 (Faux, Slg. 1991, I-4875, Randnrn. 25 bis 28).


31: -     Vgl. insbesondere Urteil in der Rechtssache 1/78 (Kenny, Slg. 1978, 1489, Randnr. 16) und zuletzt das Urteil vom 20. März 2001 in der Rechtssache C-33/99 (Fahmi, Slg. 2001, Randnr. 25).


32: -     Urteil in der Rechtssache C-349/87 (Paraschi, Slg. 1991, I-4501, Randnr. 15).


33: -     Urteil Welchner, zitiert in Fußnote 29, und Urteil in der Rechtssache 2/72 (Murru, Slg. 1972, 333).


34: -     Urteile in den Rechtssachen C-324/88 (Vella, Slg. 1990, I-257) und C-322/95 (Iurlaro, Slg. 1997, I-4881).


35: -     Randnrn. 27 und 28 des Urteils.


36: -     Vgl. Urteil vom 10. Mai 2001 in der Rechtssache C-389/99 (Sundgren, Randnr. 29).


37: -     Rechtssache C-227/89, zitiert in Fußnote 25.


38: -     Randnrn. 15 und 16 des Urteils.


39: -     Siehe Nrn. 70 bis 74.


40: -     Vgl. hierzu die Urteile Singer (S. 1268, zitiert in Fußnote 24) und Kuusijärvi (Randnrn. 23 f., zitiert in Fußnote 11).


41: -     Vgl. die ähnliche Auslegung von Artikel 53 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3/58 im Urteil Brock (Randnrn. 6 bis 9, zitiert in Fußnote 24).


42: -     Siehe oben, Nrn. 35 bis 38.


43: -     Siehe oben, Nr. 26.